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Mobilitätsarmut in Österreich

Das heutige Verkehrssystem hat nicht nur eine schlechte Umweltbilanz, sondern weist auch gravierende soziale Mängel auf, wie die kürzlich präsentierte VCÖ-Publikation "Mobilität als soziale Frage" zeigt.

Bei mangelndem Öffentlichen Verkehr sind in den Regionen vor allem ältere Menschen, aber auch Kinder und Jugendliche sowie Familien mit geringem Einkommen in ihrer Mobilität stark eingeschränkt. Weiteres Ergebnis der VCÖ-Publikation: Haushalte mit niedrigerem Einkommen verursachen deutlich weniger Umweltschäden durch ihre Mobilität, sind aber stärker von Abgasen und Lärm des Verkehrs betroffen.
 

Mehr als eine Million Menschen betroffen
Mobilitätsarmut gibt es vor allem in ländlichen Regionen, wenn Bahn- und Busangebote mangelhaft sind oder zur Gänze fehlen. Am stärksten betroffen sind ältere Menschen, aber auch Kinder und Jugendliche sowie Personen mit geringem Einkommen, so ein Ergebnis der aktuellen VCÖ-Publikation. "Aufgrund der vorliegenden Daten müssen wir davon ausgehen, dass in Österreich mehr als eine Million Menschen von Mobilitätsarmut betroffen sind", stellt VCÖ-Experte Markus Gansterer fest.

Rund 720.000 Menschen über 16 Jahre können keine Haltestelle des Öffentlichen Verkehrs zu Fuß innerhalb von 15 Minuten erreichen. Hat man eine Haltestelle in fußläufiger Distanz, heißt das noch nicht, dass dort öfters öffentliche Verkehrsmittel fahren, wie eine im Vorjahr von der ÖROK veröffentlichte Studie zeigt. 20 Prozent der Bevölkerung werden de facto nicht mit Öffentlichem Verkehr versorgt, macht der VCÖ aufmerksam. Weitere 14 Prozent haben ein eingeschränktes Angebot mit vier bis sieben Verbindungen pro Tag.

Vielschichtige Benachteiligungen
Einschränkungen in der selbständigen Mobilität führen zu Benachteiligungen am Arbeitsmarkt und bei der Teilhabe am sozialen Leben. Zersiedelung verschärft das Problem der Mobilitätsarmut, ebenso fehlende Nahversorgung. Das öffentliche Verkehrsangebot in den Regionen ist zudem nicht an die Veränderungen am Arbeitsmarkt angepasst. Flexibilisierung der Arbeitszeiten sowie mehr Teilzeitarbeit bedeutet, dass es nicht nur zu den klassischen Pendlerzeiten häufigere Bahn- und Busverbindungen braucht, betont der VCÖ.

Zusätzlich schränken fehlende Infrastruktur zum Gehen und Radfahren die Mobilität in den Regionen ein, beispielsweise wenn man von einer Siedlung das nächstgelegene Ortsgebiet nur über eine Freilandstraße erreicht und weder Geh- noch Radweg vorhanden sind. Diese Einschränkungen verursachen zudem mehr Hol- und Bringdienste, von diesem zusätzlichen Verkehrsaufwand sind Frauen stärker betroffen als Männer.

Schere zwischen Arm und Reich
Haushalte mit niedrigem Einkommen verursachen durch ihre Mobilität deutlich geringere Umweltschäden als Haushalte mit höherem Einkommen, so ein weiteres Ergebnis der VCÖ-Publikation. Im Schnitt verursachen die 25 Prozent der Haushalte mit dem niedrigsten Einkommen durch ihre Alltagsmobilität 1,7 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr, bei den 25 Prozent mit dem höchsten Einkommen sind es mit 5,4 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr dreimal so viel.

In Österreich sind 44 Prozent der Haushalte des unteren Einkommensviertel autofrei, im Viertel mit dem höchsten Einkommen haben lediglich neun Prozent kein Auto. Da die Haushalte mit hohem Einkommen deutlich mehr Kilometer mit dem Auto fahren, profitieren sie am stärksten von direkten und indirekten Förderungen für das Autofahren. Die Pendelpauschale oder die  steuerliche Begünstigung von privaten Autofahrten mit dem Firmenwagen kommt vor allem wohlhabenden Haushalten zu Gute.
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Gleichzeitig sind Haushalte mit niedrigem Einkommen in den Ballungsräumen viel stärker von den Abgasen und Lärm des Autoverkehrs betroffen. An stark befahrenen Straßen wohnen vor allem Familien mit geringem Einkommen. "Hinsichtlich Gesundheit und Lebensqualität profitieren Haushalte mit niedrigerem Einkommen stärker von Maßnahmen zur Reduktion des Autoverkehrs als Haushalte mit hohem Einkommen", stellt VCÖ-Experte Gansterer fest.


Soziale Fairness
Der VCÖ spricht sich für ein Maßnahmenpaket aus, um die Mobilitätsarmut in Österreich zu verringern und die soziale Fairness zu erhöhen. Nötig ist ein dichteres öffentliches Verkehrsnetz mit häufigeren Verbindungen. Ortsbussysteme, bedarfsorientierte Angebote als Ergänzung zum Linienverkehr (Gemeindebusse, Anrufsammeltaxis, wie GO-Mobil in Kärnten) und E-Carsharing (zB Steirisches Vulkanland, "Mühl-Ferdl" im Mühlviertel) verringern ebenfalls die Mobilitätsarmut. 50 Prozent der Alltagswege sind kürzer als 5 Kilometer. Der Ausbau der Rad-Infrastruktur verbessert ebenfalls die Mobilität in den Regionen. Wesentlich sind zudem eine kompakte Siedlungsentwicklung mit der Stärkung der Ortskerne, Förderung der Nahversorgung und dem Stopp der Zersiedelung.

Die VCÖ-Publikation "Mobilität als soziale Frage" ist beim VCÖ unter (01) 8932697 oder www.vcoe.at erhältlich

VCÖ: Mangelnder Öffentlicher Verkehr schränkt Mobilität massiv ein

(Anteil Bevölkerung in Österreich - Anzahl Verbindungen Öffentlicher Verkehr zw. 6 und 20 Uhr an Werktagen)

4 bis 7 Verbindungen: 14 Prozent der Bevölkerung  

Weniger als 4 Verbindungen: 20,5 Prozent der Bevölkerung
Quelle: ÖROK, VCÖ 2018

VCÖ: Fast jeder zweite Haushalt mit niedrigem Einkommen hat kein Auto (Anteil autofreie Haushalte in Österreich)

25 Prozent der Haushalte mit niedrigstem Einkommen: 44 Prozent autofreie Haushalte

2. Einkommensquartil: 22 Prozent

3. Einkommensquartil: 13 Prozent

25 Prozent der Haushalte mit höchstem Einkommen: 9 Prozent
Quelle: Statistik Austria, VCÖ 2018