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Endlich Einigung bei Bildungsreform

Die Koalitionsparteien haben sich mit den Grünen im letzten Augenblick doch noch auf ein Schulautonomiepaket und weitere Reformen im Bildungssystem geeinigt. Nach intensiven Verhandlungen ist zuvor am 11. Juni in der Regierung fixiert worden, dass die Modellregionen zur Gemeinsamen Schule Teil des Autonomiepakets werden. Damit können 15 Prozent aller Schulen bundesweit Gemeinsame Schulen werden - vorausgesetzt die Eltern und Lehrkräfte der jeweiligen Schule stimmen zu.​

Um kurz vor zwölf haben sich die Regierungsparteien mit den Grünendoch noch auf ein Schulautonomiepaket und weitere Reformen im Bildungssystem geeinigt. Ein mutiges Reformpaket ist das nach Meinung der NEOS aber nicht. Es brauche eine "echte Bildungswende", sind Klubchef Matthias Strolz und seine FraktionskollegInnen überzeugt. Wie eine solche ausschauen könnte, darüber diskutierte der Nationalrat am 19. Juni in einer Sondersitzung. Insgesamt 14 Punkte umfasste der in einen Dringlichen Antrag gegossene Forderungskatalog der NEOS, eine Mehrheit dafür gab es am Ende der Debatte aber nicht. Auch weitere Initiativen der Opposition fanden keine Mehrheit.

Adressat des Dringlichen Antrags war Bundeskanzler Christian Kern. Er räumte zwar ein, dass es mit dem vorliegenden Reformpaket wohl nicht gelingen werde, den Einfluss des parteipolitischen Einflusses an den Schulen zur Gänze zurückzudrängen, für ihn ist der heutige Tag dennoch ein guter Tag für die Bildungspolitik. Insbesondere hob er hervor, dass es mehr Freiheit für die Schulen und mehr Transparenz geben werde.

Reformpaket schränkt Parteipolitik in Schulen nicht ein

Das Verlangen auf Einberufung einer Sondersitzung begründete Klubobmann Matthias Strolz damit, dass den NEOS eine Entscheidung über die Bildungsreform noch in dieser Legislaturperiode ein Anliegen sei. Es müsse Bewegung in die Bildung hineinkommen, mahnte er. Derzeit gebe es Brennpunktschulen, in denen ein Drittel der Schüler keine Chance am Arbeitsmarkt habe. Man müsse endlich ideologische Scheuklappen beiseitelegen und echte Reformen umsetzen.

Im gemeinsamen Initiativantrag der Koalitionsparteien und der Grünen sieht Strolz zwar einiges an Licht. So begrüßte er etwa den Ausbau der Schulautonomie und die Möglichkeit zur Einrichtung von Modellregionen für eine Gesamtschule. Zudem werde es künftig mehr Transparenz darüber geben, wie die Milliarden verwendet werden, die jährlich an die Länder zur Finanzierung der Landeslehrer fließen. Insgesamt überwiegt nach Ansicht des Klubobmann der NEOS aber der Schatten. Strolz kritisierte etwa, dass das Lehrerdienstrecht nicht angegriffen und kein Jahresarbeitszeitmodell inklusive eines neuen Berufsbilds für Leher und Lehrerinnen eingeführt werde. Auch vermisst er einen stärkeren Fokus auf die Elementarpädagogik. Unverständlich ist für Strolz außerdem, dass die Bildungsreform über weite Strecken hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde.

Am meisten stößt sich Strolz allerdings an jenem Teil des Reformpakets, der die Schulverwaltung betrifft. Er sprach unter anderem von "einem Muster für strukturelle Korruption" und einem "Kniefall vor den Landeshauptleuten". Durch die Zustimmung zum Paket, würden die Grünen ihre Grundsätze opfern. Nach Meinung von Strolz haben die "Landesfürsten" weiter parteipolitischen Zugriff auf das Schulsystem, zudem könnten die Reformen im Bereich der Schulverwaltung nur mit Zustimmung der Länder kundgemacht werden.

Volle Autonomie für Schulen gefordert

Zum im Dringlichen Antrag enthaltenen Forderungskatalog der NEOS gehören unter anderem die Verschiebung der Zuständigkeit für Elementarpädagogik vom Familienministerium ins Bildungsressort, mehr Ressourcen für Volksschulen, ein modernes Lehrerdienstrecht mit einem leistungsorientierten Rahmenkollektivvertrag und eine echte Autonomie für die Schulen sowohl in pädagogischer als auch in personeller und finanzieller Hinsicht. Zentral definiert werden soll lediglich, was Jugendliche am Ende der Schulpflicht mit 15 können sollen ("Mittlere Reife").

Als Finanzierungsmodell schlagen die NEOS eine Pro-Kopf-Finanzierung pro Schüler vor, unabhängig davon, ob es sich um eine öffentliche oder private Schule handelt. Gleichzeitig soll ein "Chancenbonus" bzw. "Sozialindex" sicherstellen, dass Schulen mit vielen Kindern aus bildungsfernen Schichten mehr Mittel erhalten. Für Direktoren wird eine spezielle Ausbildung angstrebt.

Auf maßgebliche Änderungen drängen die NEOS außerdem bei der Schulverwaltung. Es brauche klare, einheitliche Strukturen und eine transparente Aufgaben-, Ausgaben- und Finanzverantwortung. Partei-und Machtpolitik hätten im Schulsystem nichts verloren. Gemäß dem Dringlichen Antrag soll der Bund die Zielvorgaben definieren und die Finanzierung sicherstellen; auf unterer Ebene sind Bildungsregionen vorgesehen, in denen die Schulbehörden als Servicestelle für Organisations- und Qualitätsentwicklung fungieren. Ein wesentliches Anliegen ist den NEOS außerdem Kostenwahrheit und Budgetklarheit im Bildungsressort.

Reformpaket bringt mehr Freiheit für die Schulen

Bundeskanzler Christian Kern sieht, was die Ziele betrifft, gar nicht so große Unterschiede zu den NEOS. Österreich müsse in der Bildung zur europäischen Spitze gehören, bekräftigte er. Insbesondere zwei Schwächen ortet er im jetzigen Bildungssystem: Es sei zu wenig effizient, zudem würde Bildung in Österreich viel stärker als in den meisten anderen OECD-Ländern von den Eltern an die Kinder vererbt. Man müsse hierfür Lösungen finden, Ideologiedebatten würden nicht weiterhelfen.

Mit dem nunmehr vereinbarten Reformpaket ist Kern zwar nicht hundertprozentig zufrieden, dieses sei aber "ein Fortschritt, den wir gut vertreten können". Es werde mehr Freiheit für die Schulen und ein Mehr an Transparenz bringen. Auch der parteipolitische Einfluss in den Schulen werde signifikant reduziert, ist Kern zuversichtlich. Ihn ganz auszuschalten, sei zwar nicht gelungen, räumte der Kanzler ein, würde die vorliegende Reform nicht beschlossen, würde man das jetzige System aber für längere Zeit einzementieren. Man müsse das Paket zudem in Zusammenhang mit anderen bereits beschlossenen Maßnahmen sehen, machte Kern geltend und verwies etwa auf den Ausbau der Ganztagsschule und die Ausbildungspflicht für Jugendliche bis 18.

Als nächste Schritte hält Kern unter anderem die Einführung eines verpflichtenden zweiten Gratis-Kindergartenjahres und die flächendeckende Bereitstellung von Kinderbetreuungseinrichtungen für notwendig. Zudem gelte es, den Schulen mehr Personal zur Verfügung zu stellen und in die Infrastruktur und in die Digitalisierung der Schulen zu investieren. Der Kanzler setzt in diesem Zusammenhang nicht zuletzt auf die Beschäftigungsaktion 20.000 für ältere Langzeitarbeitslose, die seiner Meinung nach eine Riesenchance für die Schulen bietet, die Lehrenden von Verwaltungsaufgaben zu entlasten. Bekräftigt wurde von ihm überdies die Absicht der Regierung, alle Schulen flächendeckend mit WIFI und Tablets für alle Schüler auszustatten.

Kern nutzte die Debatte auch, um zur strittigen Frage der künftigen Finanzierung der Universitäten Stellung zu nehmen. Er bekenne sich zur Studienplatzfinanzierung, es brauche aber ein schlüssiges und mit dem Fachhochschulbereich abgestimmtes Konzept für die Universitätspolitik, wandte er sich dagegen, die Reform "über den Leisten zu brechen" und "durchzuhudeln". Wesentlich ist für ihn, dass die Universitäten eine ausreichende Dotierung erhalten und eine soziale Selektion beim Zugang zu den Unis verhindert wird. Ein besonderes Anliegen ist Kern darüber hinaus die weitere Verbesserung der Lehrlingsausbildung.

Nach der Reform muss vor der Reform sein

Claudia Angela Gamon (N) attestierte der Regierung gegenseitige Blockade für eine echte und mutige Bildungsreform. Blockiert wurde aus ihrer Sicht eine solche auch durch die Landeshauptleute, daher habe man jetzt nur zu einem Minimalkonsens gefunden, so die NEOS-Abgeordnete. Das sei ein unwürdiges und befremdliches politisches Schauspiel und passiere zudem auf dem Rücken der Kinder. Eine Entpolitisierung wurde mit dieser Reform jedenfalls nicht erreicht, so Gamon, und meinte damit vor allem den Einfluss der Landeshauptleute im Bereich Bildungsdirektoren. Scharfe Kritik übte sie auch an den Grünen, denen es der NEOS-Abgeordneten zufolge beim Thema Modellregion nur darum gegangen sei, medial zu punkten. Insgesamt sei bisher weder mit dem Modell für Ganztagsschulen oder etwa hinsichtlich Überbrückung eines Lehrermangels durch Quereinsteiger, noch in der Unifinanzierung eine mutige Reform gelungen. Das Kernproblem sei grundsätzlich und nach wie vor die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Das System sei insgesamt auf neue Beine zu stellen, samt Kompetenzen in einer Hand, forderte Gamon. Nach der Reform müsse hier eindeutig vor der Reform sein. Es sei an einer ernsten Bildungsreform zu arbeiten.

Gemeinsames vor Trennendes stellen

Explizit bedankte sich Elisabeth Grossmann (S) bei Bundeskanzler und Regierung, dass 1 Mrd. Euro für den Bildungsbereich mit dem Ganztagsschulpaket umgewidmet wurde. Ganz entgegen der Kritik von Gamon habe der Bundeskanzler sehr wohl einen umfassenden Bildungsbegriff verwendet und ausführlich dargelegt, was im Sinne der Kinder weiter geschehen müsse - von Elementarbildung über Schule und Hochschulbildung bis hin zu den Lehrlingen, den Fachkräften der Zukunft. Für Quereinsteiger als wertvolle Kräfte kündigte sie ein Paket im Unterrichtsausschuss an. Insgesamt liege eine sehr gelungene Bildungsreform vor, mit dem Behördenreformpaket sei Unglaubliches geschafft worden. Die Bildungsdirektoren würden mit klarem Qualifikationsprofil ausgeschrieben, und auch Schulleiter werden nach transparentem Verfahren österreichweit bestellt, entgegnete Grossmann der vorangegangenen Kritik. Zudem sei der Anker für soziale Indexierung gelegt worden. Das Gemeinsame werde mit dieser Reform vor das Trennende gestellt, dies sei ein wichtiger Weg in der Bildungspolitik, den alle mitgehen sollten.

ÖVP reagiert auf Veränderungen

Bildungsfragen seien schon seit Platon immer auch Ideologie- und Machtfragen, erwiderte Karlheinz Töchterle (V) den NEOS. Es sei aber immer auch Aufgabe, dies zu hinterfragen. Genau das habe die ÖVP jetzt getan, und zwar beim Thema Gesamtschule und Modellregionen. Man reagiere hier etwa auf laufende Entwicklungen in Ballungsräumen. Aber wie im Schulbereich haben auch an Universitäten massive Entwicklungen stattgefunden. Die wichtigsten Veränderungen seien hier die rasante Zunahme der Studierenden, hohe Internationalität und eine immer stärkere Regulierung der Studien. Töchterle wandte ein, dass diesen Veränderungen bisher ungenügend Rechnung getragen worden sei, etwa fehlten bisher Zugangsregelungen. Wenn er vom Bundeskanzler nun höre, das gesamte System sei zu durchleuchten, bevor es zu entsprechenden Zugangsregelungen komme, klinge das für ihn eher nach "Plan Aufschub" statt nach "Plan A", übte er in diesem Punkt Kritik am Koalitionspartner.

Bildungsreform stellt Weichen in richtige Richtung

Harald Walser (G) appellierte an die NEOS, die vorherige Situation mit der Reform zu vergleichen - man habe sich hier meilenweit verbessert. Ein entscheidender Schritt nach vorn sei dabei die Modellregion, dabei hätten die westlichen Bundesländer zentrale Schritte gesetzt. Die Grünen wollen ein leistungsfähige Volksschule, die aber umgekehrt nicht den frühen Stress und Druck für Kinder bringen dürfe, so Walser. Unter anderem werde mit der Modellregion nun ein Schritt gesetzt, aus der Durchschnittsfalle herauszukommen und auf Individuen einzugehen. Betreffend Entpolitisierung seien ebenfalls einige Schritte gesetzt worden, wobei er aber Matthias Strolz insofern recht gab, dass ein grünes System anders aussehen würde. Aber im Rahmen des Möglichen - auch mit den Bundesländern -sei man hier zu einem verbesserten System gekommen, etwa hinsichtlich Ausschreibung, Hearing und deutlich mehr Transparenz beim Thema BildungsdirektorInnen. Fortschritt im Sinne regionaler Bildungsplanung sei der Bereich Misch-Cluster, wo Schulen Synergien nutzen könnten, bekräftigte der Abgeordnete. Auch hinsichtlich Chancen-Index hätte es zwar bessere Modelle gegeben, aber immerhin würden jetzt Schüler mit Sprachdefizit besser und zielgerichtet gefördert werden. Insgesamt stellt aus Sicht von Walser die Reform die Weichen für Österreichs Schulen in die richtige Richtung.

Deutsch-Klassen wäre wesentliches Zustimmungskriterium gewesen

Wendelin Mölzer (F) kritisierte die Reform als ideologische Umsetzung, die FPÖ mache da nicht mit. Die ÖVP sei umgefallen, außerdem würden Schüler zu Versuchskaninchen. An sich ginge das Modell der Bildungsdirektionen in eine richtige Richtung, um demokratische Kontrolle und Transparenz aufrechtzuerhalten - das Ergebnis sei jedoch umgekehrt. Die NEOS-Kritik hält er teilweise für berechtigt, etwa sei das Lehrerdienstrecht zu entschlacken. Die große Frage der Zuwanderungsproblematik bleibe aber auch hier außen vor. Mölzer brachte seitens der FPÖ einen Entschließungsantrag in der Debatte ein, der allerdings keine Mehrheit fand. Deutsch-Klassen waren demnach für die FPÖ ein wesentliches Zustimmungskriterium im Zuge der Verhandlungen zur Bildungsreform. Stattdessen war plötzlich von Deutsch vor Regelschuleintritt keine Rede mehr, kritisiert der Freiheitliche, es sei aber nur mehr mit den Grünen verhandelt und die Tür Richtung Gesamtschule aufgemacht worden.

"Bildungsreförmchen" erneuert nicht Fundament

Ebenso wichtig wie für Wendelin Mölzer ist das Thema Schulautonomie für Robert Lugar (T). Letzterer habe bereits 2013 Autonomie für Schulen gefordert, insofern ist hinsichtlich dieses Punktes das "Bildungsreförmchen" für ihn ein erster Schritt. Insgesamt werde aber nur das schief stehende Gebäude Bildungssystem abgestützt, es gehöre aber das Fundament erneuert, fordert Lugar. Auch wenn es eine Minimalreform sei, gebe es zwar begrüßenswerte Ansätze wie Transparenz, Bezahlung der Lehrer etc. Das Problem, dass Einzelne und vor allem die ÖVP Schulpolitik als Machtfrage sehen, müsse jedoch aufhören, meinte er Richtung Karlheinz Töchterle. Außerdem sei die zentrale Frage, wie der Unterricht an sich zu verbessern sei. Lugar sieht hier Leistungsgruppen als wichtige Institution, weil sonst sowohl Schwache, als auch Spitzen frustriert würden. Die Gesamtschule führt aus seiner Sicht nur zur Nivellierung nach unten.

Quelle: Parlamentsdirektion