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Estland: Man muss klein anfangen

Interview mit Anna Piperal, der Geschäftsführerin des e-Estonia Showroom, über E-Government, E-Voting und Wahlmanipulationen.

 

public: Was sind die größten Säulen des E-Governments in Estland?


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Anna Piperal: Vertrauen, Dezentralisierung und eine Regierung, die auf die Bürger fokussiert ist. Neben der Interoperabilität zwischen den unterschiedlichen Datenbanken ist es auf der technischen Seite auch die Anwendung von Open Source Software.

 

public: E-voting wird in Österreich immer wieder diskutiert. Viele Menschen fürchten sich hierzulande vor dem Missbrauch ihrer persönlichen Daten und haben wenig Vertrauen in elektronische Prozesse. Estland hat hingegen bereits viel Erfahrung damit gemacht. Wie sieht Ihre Bilanz dazu aus?

Piperal: Wenn die elektronische Identifizierungsmethode, die der Staat verwendet und die die meisten Menschen benutzen, so einfach zu hacken wäre, dann könnten wir überhaupt keiner Identifizierung mehr trauen. Wir Esten können von überall aus online wählen. Wir benutzen unsere ID-Karte oder unsere mobile ID und können dabei während der Vorwahlzeit auch unsere Meinung ändern. Wir können dabei so oft wählen wie wir wollen. Niemand wird gezwungen, online zu wählen. Aber es bietet insbesondere jenen Menschen einen großen Vorteil, die sich im Ausland befinden.

 

public: Wie sieht die öffentliche Meinung in Estland zu diesem Thema aus? Was sind Ihrer Meinung nach die Vor- und Nachteile?

Piperal: Die Menschen erkennen die verschiedenen Art zu wählen an. Manche Parteien versuchen natürlich das System in Frage zu stellen, aber es geht dabei immer um eine politische und nicht um eine technologische Auseinandersetzung. Die Menschen haben hier einfach die Wahl. Und dass 30 Prozent bei den letzten Parlamentswahlen online gewählt haben spricht doch für sich.

 

public: Welche Technologien werden genutzt und wie sieht es mit den Kosten aus?

Piperal: Wir nutzen viele verschiedene Technologien. Die Kernstücke sind die X-road (Anm. eine Art verschlüsselter Datenhighway) und die Blockchain. Wir vermeiden Herstellerabhängigkeiten und große Konzerne. Für neue technische Entwicklungslösungen und zur Wahrung der Eigentumsrechte müssen wir beweglich bleiben und sparen dabei hohe Lizenzgebühren. Wir setzen auf kleine lokale Unternehmen, die unseren Erwartungen entsprechen. Die verschiedenen Anwendungslösungen, die wir verwenden und ihre Entwickler können Sie hier einsehen: https://e-estonia.com/components/. Was die Kosten anbelangt, so können wir dieselben Dienstleistungen und Sicherheiten anbieten wie beispielsweise Großbritannien, aber wir zahlen für die Instandhaltung des Systems 400 mal weniger pro Jahr. Weil unsere Systeme die Daten bloß austauschen, weil 99 Prozent aller Dienstleistungen online angeboten werden und weil 94 Prozent der Bevölkerung die ID-Karte in ihrer Tasche trägt.

 

public: Wie schätzen Sie den Missbrauch und die Sicherheit der diversen e-Tools in Estland ein?

Piperal: Erstens verwenden wir für Hacker nicht aktuell zugängliche ID-Karten und mobile IDs, zweitens verwenden wir verschlüsselte Public-Key-Infrastruktur (Anm. ein System, das digitale Zertifikate ausstellen, verteilen und prüfen kann. Sie werden zur Absicherung rechnergestützter Kommunikation verwendet) und drittens verwenden wir Blockchain, um die Integrität unserer Systeme sekündlich zu überprüfen. D. h. selbst wenn wir nicht in der Lage wären, einen Cyberangriff erfolgreich abzuwehren, so könnten wir ihn doch buchstäblich in der selben Sekunde identifizieren. Wir vertrauen der Mathematik. Irgendwie hatten wir bisher noch keine signifikanten Probleme, abgesehen von den Ereignissen 2007 (Anm. Bei den Wahlen 2007 war Estland Ziel einer Reihe von mutmaßlich russischen Cyberangriffen, die die Systeme lahmlegten.). Aber wenn Sie mehr darüber wissen wollen, wenden Sie sich an unsere Datenschutzbehörde (http://www.aki.ee/en).

 

public: Was bedeutet E-Voting für die Demokratie? Glauben Sie, dass es einen Mehrwert bringt?

Piperal: Sicherlich. Menschen, die zuvor von einer Wahl ausgeschlossen waren – aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes, der Entfernung, ihres beruflichen Zeitplans, weil sie sich auf Geschäftsreise befinden oder im Ausland leben, können durch Online-Wahlen am Entscheidungsprozess teilhaben. Die Menschen verwenden den Computer heutzutage bereits für alles. Warum nicht auch um zu wählen? Glauben Sie wirklich Papier ist sicher? Dann schauen Sie sich mal einige postsowjetische Länder an.

 

public: Wie können Politiker bzw. Verwaltungen eine höheres Vertrauen schaffen - in E-Voting im Speziellen und die Digitalisierung im Allgemeinen?

Piperal: Man muss klein anfangen. Mit praktischen und nutzbringenden E-Dienstleistungen, die gut funktionieren. Positive Erfahrungen werden mit der Zeit sicherere Lösungen generieren und die Anwendung in kritischeren Bereichen ermöglichen. Und der erste Schritt ist sicher eine staatlich garantierte digitale Identität zu erstellen.

 

public: Welche Schritte bzw. Entwicklungen sind in Estland in naher Zukunft geplant? Wie soll es weitergehen?

Piperal: Erstens sind wir gerade dabei eine Daten-Botschaft aufzubauen, eine Art Sicherungsdatei für alle staatlichen Daten, wie eine Regierungs-Cloud, um unsere Daten-Vermögenswerte auch außerhalb unseres Landes abzusichern (Anm. in Falle einer Naturkatastrophe oder einer militärischen Interbention wären auf diese Weise alle Daten gesichert). Um die Integrität vor Ort zu bewahren ist Blockchain essentiell. Zweitens haben wir vor zwei Jahren die E-Aufenthaltsgenehmigung eingeführt. Jetzt arbeiten wir daran, die Services zu verbessern und ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Die E-Aufenthaltsgenehmigung ist eine digitale Identität, die Estland an internationale Geschäftsleute vergibt, die in einer unkomplizierten Umgebung und ortsungebunden ihren Geschäftsinteressen nachgehen möchten. Damit kann man online ein Unternehmen in Estland gründen und betreiben, ohne jemals physisch überhaupt nach Estland kommen zu müssen. Bis heute haben wir über 17.000 Anträge erhalten und es wurden damit bereits mehr als 1.200 neue Firmen gegründet. Und drittens wollen wir Null Bürokratie für KMU. Das Ziel ist, dass KMU der Regierung in keiner Weise mehr berichten müssen, sofern sie den staatlichen Steuerbehörden Zugriff auf die Internet-Bankdienste gewähren.