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Strassenwechsel_Sbg3 Foto: Salzbuger Landesarchiv

Seitenwechsel von links nach rechts

In Lend befand sich in den 1930er-Jahren die Grenze zwischen Links- und Rechtsverkehr

Salzburger Landeskorrespondenz, 8. Jänner 2014

Warum einst eine straßenverkehrsrechtliche Grenze quer durch Salzburg verlief, warum frühe Automobilisten in Lend ungewollt zum Umkehren aufgefordert wurden und welcher berühmte Dirigent wegen des Fahrtrichtungswechsels in einen Unfall verwickelt war, verrät dieser Grenzfall, der am 8. Jänner auf www.salzburg.at, der Plattform für die Europaregion, veröffentlicht wurde. Autofahren in Salzburg ist heutzutage so alltäglich, dass es schwerfällt zu glauben, dass noch Ende des 19. Jahrhunderts die Eisenbahn das Verkehrs- und Transportmittel erster Wahl war. Ebenso verwunderlich ist die Tatsache, dass die Urelterngeneration noch auf der linken Straßenseite unterwegs war. 1895 tuckerte das erste Automobil, ein Benz-Viktoria, mit stattlichen fünf Pferdestärken durch Salzburg. Ganze drei Kilometer des 365 Kilometer langen Reichstraßennetzes in Salzburg waren damals gepflastert, der Rest geschottert. Ein Vierteljahrhundert später tummelten sich bereits 162 registrierte Pkw, 126 Lkw und 117 Motorräder auf Salzburgs Straßen, durch die Festspiele waren immer mehr Fahrzeuge im Sommer in Stadt und Land unterwegs. Der Tourismus war die Triebfeder des Straßenausbaus der folgenden Jahrzehnte, die Gaisbergstraße und Großglockner Hochalpenstraße etwa waren von Beginn an als Freizeitstraßen angelegt. Doch die Fahrseite war österreichweit anfänglich nicht einheitlich geregelt. In Monarchiezeiten bestimmten die einzelnen Kronländer, ob links oder rechts zu fahren ist, in den meisten Ländern fuhr man links. 1932 legte ein Bundesgesetz für ganz Österreich ein Rechtsfahrgebot fest, das jedoch nur in Vorarlberg, wo man traditionell rechts fuhr, und ab 1930 in ganz Tirol umgesetzt wurde. Grund dafür war der Rechtsverkehr in den das Transitland umgebenden Nachbarländern Deutschland und Italien. Das traf auch für den Salzburger Pinzgau zu, weshalb Salzburg ab diesem Zeitpunkt straßenverkehrsrechtlich zweigeteilt war: Im gesamten Bezirk Zell am See, im Gasteinertal und auf der Dientertalstraße fuhr man rechts, im Rest Salzburgs - so wie im übrigen Osten Österreichs - links.

In Lend wurden die Seiten gewechselt

Abgesehen von einigen landwirtschaftlich genutzten Karrenwegen befand sich in Lend der einzige Straßenpunkt Österreichs, bei dem die Straßenseite gewechselt werden musste. Dem wurde auch mit einem über die Fahrbahn gespannten viersprachigen Hinweisschild Rechnung getragen, das in der Nacht mit Strom vom angrenzenden Aluminiumwerk beleuchtet wurde. Anfangs verursachte die im Sprachgebrauch übliche Bezeichnung "Fahrtrichtungswechsel" für Verwirrung, da sich so mancher verunsicherter Verkehrsteilnehmer zum Umkehren aufgefordert sah. In den Sommermonaten verließ man sich nicht nur auf die Autorität des - inzwischen korrekt beschrifteten - Schildes, sondern ab 1936 musste ein Mitarbeiter des Landesbauamts in den Sommermonaten auf den Seitenwechsel aufmerksam machen. Nicht alle schafften den Wechsel auf die andere Seite der Fahrbahn unfallfrei. Trotz vergleichsweise geringen Verkehrsaufkommens kam es zu Unfällen mit Fahrzeuglenkern, Fußgängern und Radlern. Auch der Wagen des italienischen Festspiel-Stardirigenten Arturo Toscanini war dort 1935 in einen Unfall verwickelt. Im selben Jahr wurde die Rechtsfahrordnung auch in Kärnten und Osttirol eingeführt, wodurch Fahrzeuge auch auf dem Katschberg einen Fahrbahnwechsel vornehmen mussten.

Umstellung auf Raten

Die Teilung im Straßenverkehr dauerte bis Juli 1938, als mit Einführung der reichsdeutschen Straßenverkehrsordnung der Rest Österreichs und damit auch Salzburgs östlich gelegene Landesteile auf Rechtsverkehr umstellen mussten. Wien, Niederösterreich und das Nordburgenland folgten mit knapp dreimonatiger Verspätung. Seitdem fährt man in Salzburg und ganz Österreich rechts, sofern man sich im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befindet. Der bekannte Witz, wonach etappenweise von Links- auf Rechtsverkehr umgestellt werden soll, ist in Hinblick auf die Salzburger Erfahrungen also gar nicht so weit hergeholt. Bis heute gibt es übrigens keine einheitliche Regelung für den österreichischen Bahnverkehr: Auf den meisten Strecken wird rechts gefahren, auf einigen wenigen noch links. Seit 1909 wird stückweise von Links- auf Rechtsfahren umgestellt wie zum Beispiel 1991 Amstetten - Wien Westbahnhof und die Schnellbahnstrecken im Großraum Wien im August 2012.

Grenzfälle zum Nachlesen

Kürzlich ist die dritte Folge der beliebten Serie "Salzburger Grenzfälle" in Buchform erschienen Unter www.salzburg.gv.at/landversand können alle drei Bücher kostenlos bestellt werden. Geteilter Hüttenzauber, an der Nordsee gestrandete Emigranten, ein unsichtbares Riesengasloch, irreführende Ortstafeln, Ötzis Waffenfirma, eine unerlaubte Felsenkirche, Schlösser und edles Baumaterial in der Fremde, ein Streit ums Kopfabschlagen, Soldaten wider Willen, festsitzende Bischöfe und Ausländer als Landeschefs - Salzburg bietet unentwegt Stoff für kuriose Grenzfälligkeiten, die in Buchform versammelt unterhaltsam, lehrreich und augenzwinkernd zum Weiterlesen verführen.