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Politischer Kleinkrieg?

In den letzten zwei Jahren vor einer Gemeinderatswahl häufen sich Aufsichtsbeschwerden gegen Bürgermeister deutlich. Das Kontrollinstrument wird zunehmend für politische Selbstdarstellung eingesetzt. Von Otto Havelka

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Aufsichtsbeschwerden nehmen vor Wahlen massiv zu. In der Gemeinde-aufsicht der NÖ Landesregierung arbeitet ein Viertel der Belegschaft ausschließlich daran. Bildnachweis: leroy131 - Fotolia.com

Hubert Germershausen ist Bürgermeister in der rund 1.500-Seelen-Gemeinde Hof am Leithaberge im Osten Niederösterreichs. Aus politischer Sicht sollte er eigentlich leichtes Spiel haben. Seine Fraktion, die ÖVP, verfügt mit zehn Sitzen über eine absolute Mehrheit im Gemeinderat. Doch der „wilde“ (von der Bürgerinitiative ausgeschlossene) Gemeinderat György Slezak macht ihm das Leben schwer. In weniger als einem Jahr hat er vier Aufsichtsbeschwerden gegen den Bürgermeister eingebracht. Drei wurden bereits eingestellt, die vierte ist noch in Arbeit, dürfte aber ebenfalls im Mistkübel landen. Germershausen ist dennoch sauer: Zum einen sind Aufsichtsbeschwerden für Lokalmedien ein gefundenes Fressen und bieten damit eine willkommene Bühne, um den Ortschef anzukleckern. Zum anderen bedeuten sie für den Beschuldigten einen erheblichen Arbeitsaufwand.

Grundsätzlich kann jeder Bürger, der sich in seinen Rechten verletzt fühlt, eine Aufsichtsbeschwerde einbringen. Zuständig ist die Gemeindeaufsicht in der jeweiligen Landesregierung oder die Bezirkshauptmannschaft. Grob vereinfacht: Für alles, was die Finanzen betrifft, ist das Land zuständig, für den Rest die Bezirkshauptmannschaft. Da die Beschwerden oft komplex sind und sich die Rechtsfelder überschneiden, sind häufig beide Aufsichtsbehörden damit beschäftigt. In Einzelfällen kann sich die Behandlung über Jahre hinziehen.

Korrektur statt Sanktion

In der Regel wird die Gemeinde – sprich der Bürgermeister – „aufgefordert, binnen vier Wochen eine Stellungnahme zu der Beschwerde abzugeben“, erklärt der Leiter der Gemeindeaufsicht in der NÖ Landesregierung, Alfred Gehart. Ist diese „schlüssig und der Rechtslage entsprechend“, ist der Fall erledigt. Andernfalls gibt es eine Belehrung, was die Gemeinde tun sollte. Zum Beispiel: Eine Verordnung zu neuen gesetzlichen Bestimmungen, Gebührensätze überprüfen, Fristen einhalten etc. Sanktionen gibt es keine, da die Aufsichtsbehörde kein Weisungsrecht hat. Handelt es sich um „strafrechtlich relevante Tatbestände, werden die Gerichte eingeschaltet“, so Gehart. „In den letzten fünf Jahren gab es in Niederösterreich drei bis vier Verurteilungen.“ Gründe: Amtsmissbrauch, Griff in die Gemeindekassa. „Ziel der Gemeindeaufsicht ist nicht die Sanktion, sondern die Korrektur von Fehlern und die Beratung zu gesetzeskonformem Verhalten und sorgsamer Haushaltsführung“, erklärt Gehart.

Politisch motiviert

Verlässliche Statistiken, wie viele Aufsichtsbeschwerden jedes Jahr bei den Behörden eintrudeln, gibt es nicht, da wie gesagt etliche davon an mehreren Stellen und mitunter auch von einer Behörde mehrmals bearbeitet werden. Sicher ist, dass es viele sind. In der Abteilung Gemeindeaufsicht der NÖ Landesregierung ist immerhin ein Viertel der 30-köpfigen Belegschaft nur damit beschäftigt (inklusive laufender Kontrollen).

Seit einigen Jahren lässt sich eine „deutliche Zunahme politisch motivierter Aufsichtsbeschwerden feststellen“, weiß der Gänserndorfer Bezirkshauptmann Martin Steinhauser. Insider schätzen, dass etwa jede zweite Aufsichtsbeschwerde einen politischen Hintergrund hat. Es könnten aber auch deutlich mehr sein. Ob die Beschwerde „nur“ von einem erbosten Bürger eingebracht wurde oder politisch gesteuert ist, „lässt sich oft schwer unterscheiden“, weiß Gehart. Auch gibt es immer wieder anonyme Beschwerden. „Zwei Jahre vor der Gemeinderatswahl geht´s jedenfalls los.“ Dann versuchen sich Oppositionsparteien und Gemeinderäte mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Stellung zu bringen. „Das ist auch ein Wettbewerb“, so Gehart, „für eine bessere Startposition wird alles getan.“

Beschwerdegründe finden sich immer und schuld ist immer der Bürgermeister. Weit oben auf einer Hit-Liste der Beschwerdegründe stehen: Der Bürgermeister habe zu spät oder nur teilweise Akteneinsicht gewährt, es bestehe Verdacht auf Ungereimtheiten bei der Auftragsvergabe, Gemeinderatsprotokolle sind schlampig und unrichtig, Fristen bei Sitzungseinladungen werden nicht eingehalten, in der Abgabenvorschreibung werden Mängel entdeckt usw. „Je größer die Gemeinden, desto schwerer sind in der Regel die Geschütze, die aufgefahren werden“, ist Steinhausers Erfahrung. Im Grunde haben Bürgermeister keine Chance, Aufsichtsbeschwerden zu verhindern. Auch passieren immer wieder Fehler, die nicht von den Bürgermeistern verursacht werden – etwa jahrzehntealte Verordnungen, die nicht mehr mit den mittlerweile mehrmals novellierten Gesetzestexten konform sind, oder fehlerhafte Buchungseingaben durch Gemeindebedienstete.

Gemeindeaufseher Gehart empfiehlt den Ortschefs: „Nachdenken, sich erkundigen, überlegen – dann ist es schon nicht mehr gefährlich. Nicht nachdenken ist schon gefährlich, bewusst falsch entscheiden ist ganz gefährlich.“

Beschädigtes Image

Auch wenn eine Vielzahl der Aufsichtsbeschwerden nicht mehr einbringt als eine Belehrung an den Bürgermeister, in Zukunft auf dieses oder jenes (mehr) zu achten, für politisch motivierte Beschwerdeführer ist sie meist schon vor der Zustellung einer Stellungnahme der Aufsichtsbehörde ein Erfolg. Das Image des Bürgermeisters ist angekratzt, Beschlüsse werden verzögert, Projekte auf die lange Bank geschoben. Den Befund der Aufsichtsbehörde bekommen die Beschwerdeführer dann oft gar nicht zu sehen. Denn sie haben keine Parteienstellung und damit auch keinen Rechtsanspruch darauf.

Die Durchsetzung von Oppositionsrechten ist nicht Aufgabe von Bezirkshauptmannschaften, Gemeindeaufsicht oder Bundesrechnungshof. Angesichts der steigenden Flut politisch motivierter Aufsichtsbeschwerden scheint eine Diskussion zu diesem Thema aber sinnvoll.