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Brücken zur Welt

Mehr als 900 Orte in Österreich pflegen Städte- und Gemeindepartnerschaften. Manche sind sogar ganz eng durch den Tod oder die Liebe verbunden. Von Marcus Eibensteiner

Wenn in Luzenac der Reisebus aus Österreich eintrifft, herrscht Aufregung in der kleinen französischen Gemeinde. Es sind nicht einfach Gäste, die hier ankommen. Es sind Freunde. Man kennt einander seit Jahrzehnten, küsst, umarmt, tauscht kleine Geschenke aus. Später, wenn alle bei ihren Gastfamilien untergebracht sind und das eine oder andere Gläschen Wein getrunken wurde, können schon einmal Tränen fließen. Denn: Luzenac ist mit den Freunden aus Österreich auch durch den Tod verbunden.

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Zwischen dem französischen Dörfchen Luzenac und dem steirischen Lassing herrscht längst viel mehr als Partnerschaft. Bildnachweis: NEONSTAR

Es war der ortsansässige Konzern „Talc de Luzenac“, der vor knapp fünfzehn Jahren das Bergwerk in der Partnergemeinde Lassing (Stmk.) betrieb, als es zum größten Grubenunglück in der Geschichte Österreichs seit 1945 kam. Damals wurde der 24-jährige Bergmann Georg Hainzl nach einem Schlammeinbruch in 60 Metern Tiefe eingeschlossen. Neun Bergleute und ein Geologe, die zu Sicherungsarbeiten in das Bergwerk einfuhren, kamen in weiterer Folge ums Leben. An der Erdoberfläche bildete sich ein großer Krater, in den Häuser und eine Straße hineinrutschten. Nur Georg Hainzl konnte nach neun Tagen und zum Teil chaotischen Rettungsmaßnahmen befreit werden. „Diese Tragödie wird uns bei jedem Besuch in Luzenac begleiten“, sagt Lassings Bürgermeister Fritz Stangl. Auch deshalb, weil ausgerechnet in jenem Jahr, als das Unglück passierte, eigentlich die zehnjährige Partnerschaft mit Luzenac hätte gefeiert werden sollen. Stangl: „Es war schon alles vorbereitet, wir wollten vor Ort eine Gusstafel übergeben.“

Der Bürgermeister ist überzeugt davon, dass die Gemeindepartnerschaft in dieser schweren Zeit geholfen hat. Stangl: „Nicht nur menschlich. Der Konzern zeigte sich danach großzügig – sicher auch, weil es einfach viele persönliche Beziehungen gab.“ Heuer soll es erneut einen Besuch in Luzenac geben. Zum 25-jährigen Jubiläum wollen wieder 30 Lassinger mit dem Bus rund 1.600 Kilometer nach Frankreich fahren.

Hilfe nach dem Krieg

Auch in vielen anderen Orten werden Gemeinde- und Städtepartnerschaften mit viel Herzblut gelebt. Die Statistik des Gemeindebundes kennt mehr als 900 Gemeinden mit Partnern. Viele davon haben historische Wurzeln. Denn erfunden wurden die Städte- und Gemeindepartnerschaften in der Nachkriegszeit mit dem Gedanken, dass sich Menschen, die einander kennen, in der Regel nicht umbringen. So blühten Verbindungen über die Grenzen hinweg vor allem in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts auf.

Eine der ältesten Partnerschaften in Österreich ist wahrscheinlich jene von Fürstenfeld (Stmk.) mit Zug in der Schweiz. Sie entstand schon kurz nach dem Krieg, als die Schweizer mehr als 200 Tonnen an Hilfsgütern nach Fürstenfeld schickten. Noch heute wird die Partnerschaft gepflegt. Und als der Eiserne Vorhang fiel, erinnerten sich die Fürstenfelder daran, dass auch ihnen in schwierigen Zeiten geholfen wurde. Sie gingen mit der rumänischen Stadt Viseu De Sus (Oberwischau) eine Partnerschaft ein – und organisieren bis heute Hilfslieferungen. Selbst die jüngste von Fürstenfeld beschlossene Partnerschaft mit Aindling (Deutschland) aus dem Jahr 2009 geht im Grunde auf zwei Feuerwehrmänner zurück, die sich in der Kriegsgefangenschaft kennenlernten.

Gelegenheitspartner

Aber nicht jede Städte- und Gemeindepartnerschaft ist bedeutungsschwer. So wie die zwischen der steirischen Stadt Mürzzuschlag und dem rund 12.700 Kilometer entfernten Chillán in Chile. Die beiden Orte verbindet ausschließlich die Tatsache, dass der chilenische Pianist Claudio Arrau im Alter von 88 Jahren eher zufällig – und völlig natürlich – im Jahr 1991 in Mürzzuschlag verstarb. Karl Rudischer, Bürgermeister von Mürzzuschlag: „Damals wurde von meinem Vorvorgänger eine Partnerschaft eingegangen. Gelebt wird sie aber nicht mehr. Das Einzige, was diese Partnerschaft bringt, ist jedes Jahr eine Weihnachtskarte der chilenischen Botschaft.“

Auch eine andere Mürzzuschlag-Partnerschaft ist mit der Zeit eingeschlafen. Und zwar die mit Arusha in Tansania (Ostafrika). Sie wurde im Jahr 1978 einstimmig vom Gemeinderat beschlossen. Anlass war damals der durch einen Mürzzuschlager gewonnene Redewettbewerb des ORF zum Thema „Dritte Welt“. Viele Aktionen folgten: Ein Rettungsauto und ein Missionsfahrzeug wurden gespendet und Besuche und Gegenbesuche absolviert. Höhepunkt der Bemühungen war die Errichtung eines modernen Schlachthofes, finanziert durch eine vom ORF Steiermark unterstützte Spendenaktion.

Heute gibt es keinen Kontakt mehr. Wobei das so nicht ganz stimmt. Denn Bürgermeister Karl Rudischer war erst unlängst mehr oder weniger privat in dem rund 6.000 Kilometer entfernten Arusha. Der Bürgermeister: „Das kam daher, weil wir bei uns in der Gemeinde ein Sparbuch mit 50.000 Euro gefunden haben, das noch von der damaligen Spendenaktion stammte. Wir haben uns dann umgehört, wer Arusha momentan verwaltet, und ob die vertrauenswürdig sind. Das Geld haben wir schließlich an die Organisation ‚Africa Amini Alama’ übergeben, die in einem Nebenort aktiv ist. Aber ich wollte wissen, wie es heute in Arusha aussieht, und bin privat hingefahren. Der Schlachthof ist auf jeden Fall noch in Betrieb.“

Gewachsene Freundschaft

Sehr wohl gibt es aber Partnerschaften, die auch über Entfernungen von tausenden Kilometern funktionieren. So wie jene zwischen St. Anton am Arlberg (T) und der japanischen Stadt Nozawa Onsen in der Präfektur Nagano. Seit dem Jahr 1971 offizielle Partner, reicht die gemeinsame Geschichte bis in die 1930er-Jahre zurück. Damals lud der japanische Kronprinz den Skilehrer Hannes Schneider aus St. Anton nach Nozawa Onsen ein, um seine Skitechniken zu präsentieren. Helmut Mall, Bürgermeister von St. Anton am Arlberg: „Seither wird Schneider in Japan hochverehrt. Und so kam es auch zu dieser Partnerschaft.“

Immer wieder finden gegenseitige Besuche statt, außerdem gibt es einen jährlichen Schüleraustausch. Und man hilft sich gegenseitig in der Not. Als im Jahr 1988 in St. Anton eine Staublawine rund 30 Häuser verschüttete und sieben Menschen tötete, kamen Spendengelder aus Nozawa Onsen. Im Jahr 2011 half St. Anton mit 53.000 Euro, als ein schweres Nachbeben große Schäden in der japanischen Partnergemeinde anrichtete. Bürgermeister Helmut Mall: „Unsere Freunde haben das Geld aber nicht für sich genommen, sondern Kindern aus Fukushima einen Erholungsurlaub ermöglicht.“

Und es gibt auch Partnerschaften, die gar nicht funktionieren. Etwa wenn es Sprachprobleme gibt, die Gemeinden keine Gemeinsamkeiten finden oder sich die Bürgermeister einfach nicht ausstehen können. In den meisten Fällen schläft die Partnerschaft dann ruhig ein und wird irgendwann ohne großes Tamtam aufgelöst. Manchmal kommt es aber auch zu riesigem Theater. So brachte es zum Beispiel die kleine englische Stadt Bishop's Stortford zu internationalen Schlagzeilen, als sie ihren Unmut über die EU dadurch ausdrückte, indem sie die 46 Jahre alten Partnerschaften mit dem deutschen Friedberg und Villiers-sur-Marne in Frankreich aufkündigte.

Verständniskultur

In der Regel erreichen Städte- und Gemeindepartnerschaften aber ihren Sinn und führen zu mehr Verständnis und Miteinander. Das zeigt sich auch in Moosburg (Ktn.). Dort mit Vorurteilen über die „faulen Griechen“ anzutanzen, ist eher keine so gute Idee. Denn seit 1996 besteht eine Partnerschaft mit der griechischen Stadt Katerini, die circa 70 Kilometer entfernt von Thessaloniki liegt. Bürgermeister Herbert Gaggl: „Ich kenne deshalb viele Menschen in Griechenland persönlich. Und ich kann nur sagen, dass die kleinen Leute am wenigsten schuld sind an den jetzigen Verhältnissen. Das System hat alles zerstört, und davon haben nur sehr wenige profitiert.“ Gaggl erinnert sich auch gerne an die guten Zeiten in Griechenland. An das Jahr 2006 zum Beispiel, als er eingeladen wurde, das olympische Feuer in Katerini zu entzünden und es mit Weltklassesportlern durch die Stadt zu tragen.

Sehr unbefriedigend

Gar nicht gut zu sprechen ist der Bürgermeister auf mögliche EU-Förderungen, die Städte- und Gemeindepartnerschaften unterstützen sollten. Herbert Gaggl: „Da braucht man schon fast ein Studium, um so einen Antrag auszufüllen.“ Und das ist gar nicht so übertrieben. Tatsächlich gibt es bereits eigene Workshops, damit Gemeindevertreter lernen, die Formulare richtig auszufüllen. Und das ist bei Weitem nicht an einem Nachmittag erledigt. Die zuständigen HelferInnen im Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (genauer im „europe for citizens point“) raten, mehrere Wochen, wenn nicht sogar Monate einzuplanen. Das „Lustige“ daran: Sind die Anträge einmal richtig ausgefüllt und abgegeben, werden sie in einem mehrmonatigen Prozess durch mindestens zwei EU-Experten begutachtet und mit Punkten bewertet. Und am Ende sehen die meisten Gemeinden trotzdem keinen einzigen Cent. Denn es gibt nur begrenzte Budgetmittel.

So suchten zum Beispiel im vergangenen Jahr vierzehn österreichische Gemeinden bei der sogenannten „Maßnahme 1.1 – Bürgerbegegnungen im Rahmen von Städtepartnerschaften“ um Förderungen an. Gerade einmal drei waren erfolgreich. Und das bei einer Gesamtfördersumme von 33.000 Euro. Bürgermeister Herbert Gaggl: „Da muss sich einfach etwas ändern.“Auch der Lassinger Bürgermeister Fritz Stangl hat schon versucht, gegen dieses System anzukämpfen: „Aber das ist praktisch sinnlos. Da hört man einem sowieso nicht zu.“

So müssen sich die Gemeinden den tatsächlich gelebten europäischen Gedanken des Miteinanders selbst finanzieren. Die meisten haben dafür auch einen eigenen fixen Budgetposten eingerichtet. Fritz Stangl: „Aber das Geld ist da wirklich nur zweitrangig. Es geht um das Zusammenführen von Menschen.“ Und das klappt manchmal sogar herzerwärmend. So lernte eine Lehrerin aus Lassing während eines Schüleraustausches den Gemeindearzt in Luzenac genauer kennen. Heute leben sie glücklich verheiratet in Frankreich.