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Die Kirche im Dorf lassen

Die katholische Kirche ist auf dem Rückzug. Aber was passiert mit den Gotteshäusern? Müssen bald die Gemeinden einspringen?
Von Marcus Eibensteiner

Wenn sich die Tore der traumhaft gelegenen Wallfahrtskirche St. Nikolaus im Salzburger Golling öffnen, muss schon etwas Besonderes los sein – ein großes Dorffest, eine Taufe oder eine Hochzeit vielleicht. Denn eigentlich ist das im Jahr 1517 geweihte Gotteshaus geschlossen – wegen akuten Besuchermangels. Regelmäßige Messen? Predigten für die vielen Pilger? Das war einmal – und wird vermutlich nie wieder kommen.

Heiliger (leerer) Raum
Denn das Katholische in Österreich ist seit Jahrzehnten auf dem Rückzug. Waren im Jahr 1951 noch knapp 89 Prozent der rund 6,9 Millionen Österreicher katholisch, zählte man 2011 nur noch 64 Prozent (bei 8,4 Millionen Einwohnern). Und selbst von denen muss noch ein ordentlicher Teil von nicht praktizierenden „Taufscheinchristen“ abgezogen werden.

Anton Kaufmann, Bürgermeister von Golling: „Wir haben in der Gemeinde insgesamt drei Kirchen. Noch haben wir auch einen Pfarrer, aber der geht vermutlich nächstes Jahr in Pension. Einen Nachfolger wird es nicht geben.“ Nachsatz mit einem Seufzer in der Stimme: „Ich kann’s sogar verstehen, denn in der Messe sitzen gerade einmal 20 Leute.“

Und Golling ist überall. In praktisch jeder Gemeinde auf dem Land ist die Kirche zwar weithin sichtbar, aber der Mittelpunkt ist sie – wenn überhaupt – nur noch geografisch. Das tatsächliche Gemeindeleben findet höchstens beim Wirten statt – falls es den noch gibt. Oder die Bevölkerung trifft sich samstags im „Einkaufsparadies“ am Ortsrand.

Aber wie konnte es so weit kommen? Wieso hat Gott die Kirche nicht einfach im Dorf gelassen? Darauf haben Kirchenkritiker eindeutige Antworten. Sie glauben, dass sich die Kirchenoberen viel zu sehr von den Menschen entfernt und gesellschaftliche Änderungen nicht bemerkt haben. Sie kämpfen mit immer lauteren Stimmen für eine geistlich-geistige Öffnung. Sie fordern zum Beispiel mehr Mitsprache für Laien, die Gleichstellung der Frau in den Ämtern der Kirche und die Abschaffung des Zölibats. Solange diese Forderungen nicht erfüllt sind, sagen die Kritiker, werden die Gotteshäuser noch lange leer stehen.

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Wallfahrtskirche St. Nikolaus in Golling.
Nachweis: Golling/Hermann Bernhofer


Nein zu Reformen
Papst Benedikt XVI. hat einen anderen Plan. Er gibt eine harte Linie vor, will ein „Fels in der Brandung“ sein. Schon beim Thema Laien spricht er sich klar gegen „Verwischungen der Zuständigkeiten von Priestern“ aus.

Um mehr Menschen in die Kirche zu locken, rief der Papst Ende September alle Gläubigen zur aktiveren Teilnahme an der Liturgie auf. Normalerweise entstehe erst der Gedanke, der dann zum Wort werde, sagte der Papst. In der Liturgie sei es umgekehrt: Die in Jahrhunderten geformten Worte gingen voraus und verwandelten und erneuerten den Beter. Ein „Hirtenwort“ der österreichischen Bischöfe spricht außerdem bei den geforderten Änderungen vom „Preis des Bruches der Kirchengemeinschaft“.

Das klingt nicht gerade nach Reformbereitschaft – und so werden die Gotteshäuser wohl noch länger leer bleiben.

Oder es kommt noch schlimmer. Denn auf ewig kann sich die katholische Kirche die vielen Gotteshäuser einfach nicht leisten. Die Erhaltung verschlingt jedes Jahr Millionen. Auch wenn Bund, Länder und Gemeinden eine ganze Menge zur Erhaltung beitragen (allein das Land Tirol gab im Jahr 2010 rund 7,7 Millionen Euro dafür aus), wird’s hinten und vorne eng.

So wird sich früher oder später die Frage stellen, was mit den vielen Gotteshäusern passieren soll, die nicht genutzt werden. Eine komplette Übernahme durch die Gemeinden wird schwierig sein, denn da wird die Bevölkerung nicht so einfach mitspielen. Wer es nicht glaubt, muss nur nach Frohnleiten (Stmk.) schauen. Dort wurde im März darüber abgestimmt, was mit der in Gemeindebesitz befindlichen und schwer renovierungsbedürftigen Katharinenkirche passieren soll. Die Beteiligung lag bei gerade einmal 23,5 Prozent.

Und gestimmt wurde nur für eine notdürftige Erhaltung.





Entweihung droht
Hoffnungsschimmer bieten nur Spenden. Denn es gibt ein Horrorszenario, das viele leichter zur Geldbörse greifen lässt. Wenn nämlich weder Kirche noch öffentliche Hand zahlen wollen, bleibt nur noch das niederländische oder englische Modell. Und das heißt: Die Gebäude an Private verkaufen. Was dann in die alten Kirchenmauern einzieht, klingt nach Gotteslästerung. Da ist vom Supermarkt über Fitnessstudio bis zur Disco einfach alles dabei. Oder es kommt nach Ansicht vieler zur größten möglichen Katastrophe: Eine andere Religionsgemeinschaft übernimmt das Gebäude. So könnte aus der Dorfkirche eine Moschee werden.

Was selbst Leuten, die aus der katholischen Kirche ausgetreten sind, ein Schaudern über den Rücken jagt, ist theologisch eigentlich kein Problem. Es reicht eine letzte Eucharistiefeier und das Entfernen aller heiligen Gegenstände – und schon kann das Kirchengebäude anders genutzt werden. Und so weit hergeholt ist dieses Szenario gar nicht. Denn Erzbischof Christoph Schönborn hat in der Diözese Wien bereits einen historischen Schrumpfungsprozess eingeläutet. So sollen die 660 Pfarren (485 davon liegen in Niederösterreich) bis zum Jahr 2020 drastisch reduziert werden. In den noch zu gründenden Großpfarren sollen sich dann drei bis fünf Priester um die immer weniger werdenden Schäfchen sorgen.

Bereits 2010 sprach der Kardinal davon, dass 172 katholische Pfarrkirchen nicht mehr länger zu halten sind. Einen Verkauf schloss er damals zwar aus, verschenkte aber bereits die Pfarrkirche Neulerchenfeld in Wien wegen Besuchermangels an die serbisch-orthodoxe Kirche. In Golling ist das – noch – völlig unvorstellbar. Da wurde die meistens leerstehende Wallfahrtskirche St. Nikolaus vor zwei Jahren um rund 100.000 Euro renoviert.