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Lebensabend ohne Ausgrenzung

Schweden gilt gemeinhin als liberal. Das Land gehörte zu den ersten in Europa, die die Ehe für Gleichgeschlechtliche einführten. Homosexuelle dürfen adoptieren, lesbische Frauen dürfen sich künstlich befruchten lassen. Jetzt entschied die Stadt Stockholm, ein erstes staatlich gefördertes Seniorenheim für Homo-, Trans- und Bisexuelle zu eröffnen.
Von Agnes Bührig, Stockholm


Christer Fällman hat seine modisch umrandete, viereckige Brille zurechtgerückt und blättert in einem Stapel riesiger Papierbögen mit Farbmustern. Helle Pastelltöne in Rosa, Gelb und Grün sind da zu sehen, die rund um die Eingangstüren der 38 Wohnungen des Seniorenheims Regenbogen gemalt werden sollen. Das erhöhe die Wiedererkennbarkeit des eigenen Eingangs, sagt der Vorsitzende des Vereins Regenbogen, der das gleichnamige Seniorenheim plant.

Für den Innenbereich würde der gelernte Gärtner ein Strukturmuster wählen: „Hier haben wir eine Tapete, die Wald zeigt, sehr graphisch in der Form. Ich könnte sie mir an einem ausgesuchten kleineren Stück Wand in der Wohnung vorstellen. Den Rest würde ich weiß streichen, dazu passen dann Möbel und Gardinen aller Farben.“


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Christer Fällman: „Sich im Alter geborgen zu fühlen und mit Gleichgesinnten zu leben, ist für alle Menschen wichtig – erst recht für jene, die jahrelang Diskriminierung erfahren haben.“
Bildnachweis: Christer Fällman


Toleranz und Geborgenheit

Ob er selbst einziehen wird, weiß Fällman noch nicht. Doch das Thema Wohnen im Alter hat den 53-Jährigen schon vor zehn Jahren beschäftigt. Als er vor ein paar Jahren die Stelle des Gärtners in einem Altersheim bekam, wurden seine Überlegungen konkreter. Er startete eine Umfrage, die zeigte, dass sich auch viele andere Homosexuelle im Alter eine Wohnform mit Gleichgesinnten wünschen. Trotzdem kommen immer wieder Nachfragen, warum eine Stadt wie Stockholm so etwas braucht: „Es geht darum, sich im Alter geborgen zu fühlen. Sich in einem Umfeld zu befinden, in dem man Menschen mit der gleichen sexuellen Veranlagung trifft, die die gleichen Wünsche und Traditionen haben. Und sich gemeinsam zu erinnern. In Seniorenheimen für Heterosexuelle gibt es immer wieder Personal und Bewohner, die Vorurteile gegen Homosexuelle haben. Solange sie existieren, besteht das Bedürfnis, sich von der Masse zu unterscheiden.“

Es gäbe bereits Altersheime für Persischsprachige oder Menschen jüdischen Glaubens in Schweden, warum also nicht auch ein Seniorenheim für Homo-, Bi- und Transsexuelle, argumentiert Fällman. Zudem sei die Zeit jetzt reif dafür, schließlich habe die bürgerliche Regierung in Schweden mehr Wahlfreiheit in Schul- und Gesundheitsfragen sowie der Altenpflege versprochen.

Politisches Zeichen

An diesen Beschluss fühlt sich auch Stadtrat Joakim Larsson von der „Moderaten Sammlungspartei“ gebunden. Im Stockholmer Stadtrat hat er für die staatliche Unterstützung des Projektes Regenbogen gestimmt: „Wenn man alt wird, hat man Wünsche, genauso wie im Rest des Lebens. Wenn man mit Freunden, mit Kollegen oder in einer Gruppe von Menschen alt werden will, in der man sich geborgen fühlt, prüfen wir das.

Die Anfragen, die uns erreichen, sind sehr vielfältig. Vor ein paar Monaten wandte sich eine Gruppe von Offizieren an uns, die ein Seniorenwohnheim gründen wollte. Es ist unsere Pflicht, zu untersuchen, ob wir das in unseren Gebäuden möglich machen können.“

Das Haus für das Seniorenwohnheim Regenbogen stellt die Stadt Stockholm, die Pflegeangebote im Erdgeschoß werden über die staatliche Krankenkasse abgerechnet, die Verwaltung übernimmt der Verein Regenbogen. Neben den Einzelwohnungen soll es einen knapp 70 Quadratmeter großen Gemeinschaftsbereich geben sowie eine großzügige Dachterrasse für alle. Die Renovierungsarbeiten führt die staatliche Wohnbaugenossenschaft Micasa durch, die sich auf Gebäude wie Altersheime und Pflegeeinrichtungen spezialisiert hat. Denn der Staat muss vorsorgen, sagt Stadtrat Larsson: „Wir bauen jetzt verstärkt Wohnungen und Wohnheime mit Pflegeangeboten für Ältere, denn in ein paar Jahren wird immer mehr Pflege nötig sein – nicht zuletzt aufgrund der steigenden Zahlen dementer Menschen. Unser Konzept ist, dass die Gebäude in staatlichem Besitz bleiben, sich gleichzeitig aber auch private Pflegeanbieter ansiedeln können.“

Leben mit Gleichgesinnten

Mehr als 150 haben schon ihr Interesse an einem Platz im Wohnheim Regenbogen bekundet, doch natürlich gibt es auch Kritiker. Sie bemängeln, dass man mit solchen Angeboten bestehende Vorurteile bestätigte. Elisabeth Osterman, Jahrgang 1941, sieht das anders. Sie kann sich vorstellen, mit ihrer Partnerin in eine der 38 Wohnungen einzuziehen. In Stockholm, wo es alle möglichen Lebensformen gibt, sollte es auch Raum für Homosexuelle und Lesbierinnen geben, die im Alter zusammen wohnen wollen. „Warum soll es kein Seniorenheim für Homosexuelle geben? Damit zementiert man nichts. Die Vorurteile sind in der Welt. Zwar wird jetzt herausgeschrien, wir seien befreit und akzeptiert. Doch schon das Wort akzeptiert an sich deutet darauf hin, dass wir es im Innersten nicht sind.“

Elisabeth Osterman kam Anfang der 60er Jahre nach Stockholm, weil sie in ihrer Heimat Österreich als Lesbierin regelmäßig schief angesehen wurde. In Schweden konnte sie offen mit ihrer Homosexualität umgehen, diskriminiert wurde sie nicht. Hierzulande hätten sich Homosexuelle weitgehende Rechte erkämpft, sagt die 71-Jährige. Doch unter der Oberfläche gäbe es weiterhin Vorbehalte gegenüber dem Zusammenleben von Gleichgeschlechtlichen. Im Seniorenheim Regenbogen hoffen sie auf einen ruhigen Lebensabend: „Ich kenne viele, die ihre Homosexualität jahrelang vor der Familie verheimlicht haben. Sie hatten ein gutes Leben in Stockholm, und wenn Mama und Papa kamen, wurde das Türschild abgeschraubt oder gesagt, ich habe gerade einen guten Freund zu Besuch, der in meinem Arbeitszimmer wohnt. In diese Zeiten wollen wir nicht zurückversetzt werden.“