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Mit 130 Einzelmaßnahmen will Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos) die österreichischen Schulen und Kindergärten auf gute Schienen bringen. Ein knackiger Plan für ein brüchiges System, in dem der Personalmangel an den Zukünften der Jüngsten nagt und in unseliger Union mit den leeren Kassen die Kluft zwischen Wunsch und Realität vergrößert. Von Alexandra Keller
Er hat es nie gesagt, und doch wird dieses Zitat beharrlich Albert Einstein zugeschrieben. „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“, lauten die Worte, die eben nicht vom Physik-Nobelpreisträger stammen. Gut sind sie trotzdem - vor allem, weil sie sich für so viele Politikbereiche eignen, vor allem für die österreichische Bildungspolitik. Es ist fast müßig, die Versuche aufzählen zu wollen, das auch und ganz besonders wegen der komplexen Kompetenzverwirrungen starre Bildungssystem des Landes zu reformieren. Es sprechen mit und einigen sich selten: Schüler, Lehrer, Wissenschaftler, Eltern, Wirtschaft, Gewerkschaften, Gemeinden, Länder und der Bund. Letzterer hat mit Christoph Wiederkehr (Neos) einen neuen Bildungsminister. Er hat sich auch vorgenommen, die Kompetenzverteilungen sinnvoll respektive zukunftsfit zu ändern, doch weiß er wohl, welch Herkulesaufgabe das ist, wenn er sagt: „Mir ist sehr bewusst, das ist ein Projekt, an dem schon viele gescheitert sind.“ Stimmt. Darum trifft die oben erwähnte Definition von Wahnsinn im Bildungsbereich so bitter ins Schwarze und die aktuelle Situation kann nur vor dem Hintergrund als hoffungsfroh bezeichnet werden, wird bedacht, dass sich jeder Wahnsinn beliebig steigern lässt.
Wäre das Damoklesschwert einer blau-schwarzen Regierung mit scharfer Klinge ins Alpenland gefahren, wäre wohl ein übler rechtskonservativer Geist mit aller Kraft durch die Schulklassen und vor allem die Schüler-Hirne gebraust. Wie so viele rechtskonservative Parteien macht auch die FPÖ kein Geheimnis aus ihrem Menschen- und Gesellschaftsbild, das über weite Strecken in den Bildungseinrichtungen des Landes geprägt wird. Für sie hat die FPÖ in ihrem Nationalratswahlprogramm 2024 ein paar Ziele definiert, die Ängste wecken. Das Kreuz im Klassenzimmer oder die Nikolausfeiern und Martiniumzüge, mit denen die christlich-abendländische Geschichte symbolisiert oder gefeiert werden soll, sind da vielleicht noch die harmlosesten. Mit Schwarz-Rot-Pink müssen sich die Bildungseinrichtungen nicht mit Aussagen, wie „Gender-Ideologie, Regenbogenkult und frühkindliche Sexualisierung haben in unseren Kindergärten und Schulen nichts verloren“, auseinandersetzen. Dass für Lehrer keine „Meldestelle für politisierende Lehrkräfte“ eingerichtet wird, darf Erleichterung in ihnen wecken – sowie die Hoffnung, dass potentielle neue Kollegen sich nicht vom Ergreifen des Lehrberufes abschrecken lassen.
Massive Personallücken. Denn der Personalmangel ist neben der Kompetenzenfrage eine der größten Baustellen, denen sich Bildungsminister Wiederkehr nicht nur an Schulen, sondern auch an Kindergärten widmen muss, die nun erstmals im Bildungsministerium angesiedelt und damit auch endlich als elementarer Teil des Bildungssystem geadelt wurden.
Das Jahr 2030 ist für zahlreiche Berechnungen ein Schlüsseljahr. Es wird, basierend auf einer Studie der Universität Klagenfurt, davon ausgegangen, dass Österreich bis dahin rund 13.700 Elementarpädagogen fehlen. Diese Lücke ist enorm und führt zahlreiche Zukunftspläne, wie die „Garantie auf Vermittlung eines ganztägigen und ganzjährigen Kinderbildungs- und betreuungsplatzes“ ziemlich faktisch ad absurdum – verschärft durch die gnadenlos ausgebluteten kommunalen Haushalte, die schon unter den zuletzt gestiegenen Personalkosten im Elementarbereich stöhnen und ihren essenziellen Part in der Bildungs- und Betreuungsoffensive fast unmöglich stemmen können.
Es ist zwar eine neue 15a-Vereinbarung vorgesehen, die ab 2027 mehr Geld zu den Ländern und von diesen zu den Kommunen fließen lassen soll. Doch bleiben in dem Zusammenhang noch arg viele Finanzierungsfragen offen – selbst wenn eine der wenigen konkreten Budgetzahlen die bundesweite Einführung des zweiten verpflichtenden Kindergartenjahrs betrifft, das vor allem helfen soll, die Deutschkenntnisse der Jüngsten vor dem Schuleintritt zu verbessern. 80 zusätzliche Millionen sind dafür bis 2026 vorgesehen.
Aufholjagd muss schnell beginnen. Dass Deutsch für Bildungsminister Wiederkehr nicht optional, sondern Pflicht ist, wird nicht nur die Chancen der in Österreich lebenden Kinder anderer Länder massiv steigern, sondern auch den österreichischen Lehrkörper freuen, der mit der hohen Zahl an des Deutschen nicht mächtigen Schülern schlichtweg überfordert ist und der vor einer veritablen Abmagerungskur steht. Bis ins Jahr 2030 werden rund 127.000 Lehrer und damit ein Drittel in Pension gehen. Angesichts dieses demographisch bedingten und längst vorhersehbaren Aderlasses wurde bereits die Lehramts-Ausbildung verkürzt und das Quereinsteiger-Programm „Klasse Job“ ins Leben gerufen. Dieses Programm wird weitergeführt und zudem auf die Volksschulen ausgedehnt. Es ist auch vorgesehen, dass die Lehrer durch neue Verwaltungsmitarbeiter, Sozialarbeiter oder Psychologen entlastet werden. Doch aller Programme und Anreize zum Trotz ist noch nicht klar, ob die Lücke der 127.000 auch nur annähernd geschlossen werden kann. Mit dem Personal stehen und fallen schließlich alle Pläne, wie auch die Bildungs- und Zukunftschancen der Kinder. „Für mich ist wichtig, dass die Aufholjagd jetzt beginnt“, befeuerte Bildungsminister Wiederkehr sich selbst und seinen Weg. Es ist ein steiniger.