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Systematisch totgespart

Abgangsgemeinde. Die negative Auszeichnung für österreichische Gemeinden in höchster Finanznot mutiert von der Ausnahme schon fast zur Regel. Und dass, obwohl die Gemeinden alles andere als schlecht wirtschaften. Weil auch die Länder den Gürtel enger schnallen müssen, der Bund ein Fragezeichen bleibt und echte Strukturreformen kein Thema sind, werden Gemeinde-Insolvenzen so denkbar wie möglich. Das wirft nicht nur Haftungsfragen für Gemeinde-Mandatare auf. Von Alexandra Keller

Durch die kommunale Brille betrachtet, wird der miese Zustand Österreichs derart klar und deutlich sichtbar, dass es schwerfällt, die Augen davor zu verschließen. Angesichts bedrohlicher Lücken im maroden Asphalt der Gemeindestraßen wäre das auch keine allzu kluge Lösung. Angesichts dessen, dass die finanziellen Abgründe, vor denen die Gemeinden stehen, nicht von ihnen, wohl aber von ihren absolut reformresistenten Gebietskörperschafts-Parntner verursacht und mit erstaunlichem Starrsinn vertieft werden, erst recht nicht.

Mitte November 2024 wurde bekannt, dass 140 der 438 oberösterreichischen Gemeinden ziemlich pleite sind beziehungsweise ihre Ausgaben nicht mit den zur Verfügung stehenden Mitteln decken können. Im Land rund um Linz herrscht seit 2018 ein extrem scharfes Regime für Abgangsgemeinden. De facto haben die Gemeinden, in denen der Pleitegeier seine Runden zieht, längst keinen Gestaltungsspielraum mehr. „Erschreckend ist, dass sich die Höhe des Abgangs, der bereits im Härteausgleich befindlichen Gemeinden gegenüber 2024 fast durchgängig verdoppelt.  Derzeit funktioniert die ‚Gemeindefinanzierung‘ in Oberösterreich noch. Durch die schwache Entwicklung der Wirtschaft kann es 2026 aber schon sehr grausig werden“, blickt Christian Mader, Präsident des Oberösterreichischen Gemeindebundes, arg finsteren Zeiten entgegen.

Sehr grausig. Die Abgangsgemeinden wurden österreichweit zum Massenphänomen, mit dem das bisherige Ausgleichssystem endgültig an seine Grenzen stößt. „Wie die Länder mit dieser großen Anzahl an Abgangsgemeinden umgehen werden, ist ein großes Fragezeichen. In Kärnten haben sie es mit einer zusätzlichen Finanzzuweisung gelöst. In der Regel stellen die Bundesländer mehr Gelder zur Verfügung, damit die Gemeinden übers Jahr kommen. Aber das ist keine nachhaltige Lösung und weil die Länder auch vor finanziellen Schwierigkeiten stehen, wird das nicht auf Dauer gehen“, spricht Karoline Mitterer, Expertin des Zentrum für Verwaltungsforschung KDZ, den sogenannten Haushaltsausgleich an, einen Verwendungszweck der Gemeindebedarfszuweisungsmittel, mit denen die Länder gegebenenfalls die Haushalte jener Gemeinden ausgleichen, die das aufgrund von strukturellen Probleme selbst nicht schaffen. An sich ist das recht praktisch und vor allem für kleine Gemeinden ein Rettungsanker im „laufenden Betrieb“. Werden es aber immer mehr Gemeinden, die dieser Hilfe bedürfen, und werden die Defizitären zudem immer größer, verschlingt der Haushaltsausgleich entsprechend höhere Summen. Für anderes, wie etwa die Investitionszuschüsse, bleibt da nichts mehr übrig. Besonders gemein für die Gemeinden wirkt sich dabei natürlich aus, dass die Länder sie auf der einen Seite über das sachlich sinnbefreite Unding der stetig steigenden Umlagen sattsam abzocken, um dann als rettende Ritter auftreten.

Sinnbefreite Undinger. In Kärnten etwa wurde Ende Juni 2024 im Rahmen der Bürgermeisterkonferenz berichtet, dass 90 Gemeinden ohne Landeshilfe zahlungsunfähig wären. „Seither wurden die Ertragsanteilprognosen des Finanzministeriums zweimal nach unten revidiert. Ebenso mussten 44 Gemeinden aus Landesmitteln eine Liquiditätshilfe in der Höhe von insgesamt 11 Millionen Euro in Anspruch nehmen, um bis Jahresende zahlungsfähig zu bleiben. Die übrigen 88 Gemeinden kamen entweder durch eisernes Sparen über die Runden oder mussten bereits Kontokorrentkredite und/oder innere Darlehen (aus den Gebührenhaushalten) nutzen, um ihre Aufgaben zu erfüllen“, stellt Günther Vallant, Präsident des Kärntner Gemeindebundes, fest und verweist auf den bereits merk- beziehungsweise spürbaren Investitionsstopp als direkte Folge der knappen Haushalte. „Die Kärntner Gemeinden können sich meist nicht mal einen Eigenanteil von 20 Prozent bei Förderungen leisten, da alles Geld für den laufenden Betrieb und den Haushaltsausgleich benötigt wird. Dies trifft die Bauwirtschaft massiv und auch die dortigen Arbeitsplätze.“ Der teuflischen Kreisläufe nicht genug, mussten Kärntner Gemeinden bereits Ermessensausgaben in den Bereichen Vereinsförderung, Veranstaltungen, Kultur, Soziales und Einsatzorganisationen drastisch kürzen. „Es gibt Gemeinden, die selbst eine Haushaltssperre auf geringwertige Wirtschaftsgüter verhängt haben, wo der Euro nicht mal mehr umgedreht, sondern gar nicht mehr ausgegeben werden kann. Ebenso werden Steuersätze, wo möglich, erhöht. Dies trifft in Summe das soziale Leben und jeden Einzelnen und verunsichert auch die Entscheidungsträger, die sich um persönliche Haftungen sorgen“, macht Präsident Vallant auf das Worst-Case-Szenario von Gemeindeinsolvenzen aufmerksam, das immer näher zu rücken scheint.

„Für Gemeindefunktionäre besteht ein Haftungspotenzial, wenn bei Vorliegen von Konkursantragsgründen nicht unverzüglich ein Insolvenzverfahren beantragt wird, da unter Umständen der Tatbestand der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen verwirklicht werden könnte.

Darüber hinaus darf das Haftungsrisiko wegen Konkursverschleppung nicht unerwähnt bleiben, da die organschaftlichen Vertreter einer Gemeinde bei unterlassenem Konkursantrag, trotz Vorliegens von Konkursantragsgründen, für den eingetretenen Schaden zivilrechtlich verantwortlich sind“, betont Gernot Hobel, Landesgeschäftsführer-Stellvertreter des Kärntner Gemeindebundes, in seinem KDZ-Blog-Beitrag „Gemeindeinsolvenz – ein realistisches Szenario?“, dass die Haftungs-Sorgen durchaus berechtigt sind und Präsident Vallant hält fest: „Bürgermeister brauchen eine Perspektive, zu gestalten. Die Entscheidung, welche Infrastruktur für die Bevölkerung wann zugesperrt wird, kann ein Insolvenzverwalter oder Regierungskommissär besser treffen als ein Bürgermeister? Wenn das das Ziel ist, sollten Bund und Länder das auch offen kommunizieren. Denn der grassierende Zynismus der Gemeindeautonomie ohne Finanzmittel motiviert weder Bürgermeister noch Gemeindemandatare noch Gemeindebedienstete oder Bürger.“


MotivationsKiller. Können Gemeinde-Insolvenzen das Ziel von Bund und Ländern sein? Dürfen sie das? Dürfen die durch Reformresistenz gegenüber der verheerenden Umlagendynamik, des an seine Grenzen stoßenden Ressourcenausgleichs und verpasster Chancen – etwa im Gesundheitssystem oder bei der ewig schmurgelnden Grundsteuer – selbstverschuldeten Budget-Probleme auf dem Rücken der Kommunen ausgetragen werden? Ein auffallendes Ganz-und-gar-nichts zu den Gemeinden und deren an ihrer Existenz kratzenden Probleme aus den Regierungsverhandlungen ist zu vernehmen. Das ist kein gutes Signal für die Urzellen der Demokratie und das Zuhause der Österreicher, die letzten Endes die Zeche für die Ungleichgewichte zahlen müssen.

„Die Gemeinden werden alles daransetzen, dass sie die Leistungen der Daseinsvorsorge auch weiterhin im bestmöglichen Umfang an die Bürger erbringen können“, sagt Andrea Kaufmann, Präsidentin des Vorarlberger Gemeindeverbandes. Es sei klar, dass die Gemeinden das gewohnte Leistungsniveau ohne die notwendigen Reformen nicht mehr lange werden halten können, sagt sie auch.

Eine aktuelle Umfrage des Vorarlberger Gemeindeverbandes zu den Gemeindefinanzen wirft mit den Ergebnissen genau die Fragen auf, die im kommunalen Universum Österreichs herumgeistern:

    „Bereits im Jahr 2024 müssen 62 Prozent (42 von 68) der rückmeldenden Gemeinden Darlehen zur Finanzierung laufender Ausgaben aufnehmen.“

    „Die Rücklagen der Gemeinden sind 2024 deutlich rückläufig. In 46% Prozent der Gemeinden werden die Rücklagen Ende 2024 aufgebraucht sein.“

    „Drei Viertel der Gemeinden geben für das Jahr 2025 an, dass ein Ausgleich des operativen Finanzierungshaushalts schwierig oder nicht mehr möglich sein wird.“

    „Die stark steigenden Transferzahlungen stellen für die Gemeinden die Hauptursache für die schwierige Lage dar, gefolgt von den steigenden Personalkosten.“

    „Das Risiko für einen Investitionsrückstau und Liquiditätsengpässe wird am höchsten eingestuft.“

    „62 Prozent schätzen das eigene Einsparungspotenzial als gering (bis zu 2%) ein oder geben an, dass dieses bereits gänzlich ausgeschöpft wurde.“

Der Befund der Gemeinden im westlichsten Bundesland ist in all seiner Bitterkeit nur ein Beispiel von acht und schon im Juli 2024 hatte der Bürgermeister der Vorarlberger Abgangsgemeinde Zwischenwasser, Jürgen Bachmann, gegenüber ORF Vorarlberg festgestellt: „Wir brauchen im Jahr 2024 1,6 Millionen Euro Darlehen, damit wir den laufenden Betrieb aufrechterhalten können und für die nächsten zehn Jahre hochgerechnet – mindestens jedes Jahr zwei Millionen. In der Privatwirtschaft wären wir schon lange in Konkurs.“ Systematisch totgespart.