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Hinweise dringend gesucht!

Umsetzungsfrist der Hinweisgeber-Richtlinie der EU endet mit 17.12.2021

Die Hinweisgeber-Richtlinie der EU („Whistleblowing-Richtlinie“) sieht eine Reihe von Mindeststandards für die Einrichtung von sicheren Meldekanälen sowie Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern vor. Neben Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern (ab 17.12.2023 sinkt dieser Grenzwert auf 50 Mitarbeiter) sind grundsätzlich auch alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts einschließlich aller Stellen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer solchen juristischen Person stehen, betroffen. Die Mitgliedstaaten können Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern oder weniger als 50 Arbeitnehmern oder sonstige juristische Personen mit weniger als 50 Arbeitnehmern von der Verpflichtung zur Einrichtung interner Meldekanäle ausnehmen.

In dieser Möglichkeit der Nationalstaaten für eine Ausnahmebestimmung liegt auch die Problematik, sollte eine Umsetzung in nationales Recht nicht rechtzeitig bis 17.12.2021 erfolgen, denn ab diesem Zeitpunkt gilt die Richtlinie unmittelbar – ohne Ausnahmebestimmung und somit für alle Kommunen und auch für alle öffentlich beherrschten Organisationen (wie z.B. Kommunalbetriebe) unabhängig von deren Mitarbeiterzahl.

Nationale Umsetzung ist Bundes- und Ländersache. In Österreich kommt hinzu, dass es sich bei der Whistleblower-Richtlinie um eine organisationsrechtliche Maßnahme handelt, sodass der Bund ein Bundesgesetz für alle Bundeseinrichtungen und Rechtsträger des Privatrechts erlässt und die Landesgesetzgeber für die Länder und Städte bzw. Gemeinden zuständig sind.

Im Idealfall handelt es sich dabei um eine sogenannte „9+1“-Regelung mit weitgehend identischer Ausgestaltung auf Bundes- und Länderebene, wie dies beispielsweise bei der nationalen Umsetzung der Webaccessiblity-Richtlinie zur Gewährleistung einer Barrierefreiheit von Webangeboten der öffentlichen Hand der Fall war.

Betroffene Bundeseinrichtungen. Seitens des Bundes liegt die Zuständigkeit für die Umsetzung auf Bundesebene beim Bundesministerium für Arbeit. Das Bundesgesetz wird somit für alle „Rechtsträger des öffentlichen Rechts“ gemäß nachfolgender Definition betreffen:

•    Juristische Personen des öffentlichen Rechts, deren Organisation bundesgesetzlich geregelt ist

•    Juristische Person des privaten Rechts, deren Anteile ganz oder teilweise im Eigentum des Bundes stehen

•    Juristische Person, die
o    vom Bund zum Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen und die überwiegend vom Bund oder einer anderen Einrichtung mit solchem Zweck finanziert wird oder
o    hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht dem Bund oder dieser Einrichtung untersteht oder
o    ein Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan hat, das mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Bund oder einer anderen Einrichtung mit solchem Zweck ernannt worden ist.

•    Verband, der aus einer oder mehreren juristischen Personen gemäß der obigen Definition besteht.

•    Organisationseinheiten ohne eigene Rechtspersönlichkeit und natürliche Personen, deren Handeln einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gemäß obiger Definition zuzurechnen sind.

Zulässige Hinweisgeber. Die Whistleblowing-Richtlinie schränkt den Kreis an potenziellen Hinweisgebern ein auf Personen, die in einem bestimmten Verhältnis zur betroffenen Organisation stehen, der Kreis ist jedoch so weit gefasst, dass eine Zugänglichkeit zum „internen Meldekanal“ deutlich über eine nur für Mitarbeiter der Organisation zugängliche Stelle oder zugängliches System hinausgeht.
Dementsprechend wird das Bundesgesetz voraussichtlich folgende Personengruppen als potenzielle Hinweisgeber festlegen:

•    Aktive und frühere Bedienstete eines vom Bundesgesetz umfassten Rechtsträgers

•    Aktive und frühere Bewerber*innen, Praktikant*innen, Volontär*innen

•    Selbstständig erwerbstätige Personen

•    Mitglieder eines Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans eines betroffenen Rechtsträgers

•    Personen, die unter der Aufsicht und Leitung eines Auftragnehmers, eines Subunternehmers oder eines Lieferanten eines betroffenen Rechtsträgers arbeiten

Anforderungen an „interne Meldekanäle“. Alle von der Richtlinie betroffenen Organisationen (abgesehen von den zulässigen, eingangs erwähnten Ausnahmen) sind verpflichtet, interne Meldekanäle einzurichten. Diese dürfen jedenfalls nicht prohibitiven Charakter haben, sondern müssen ganz im Gegenteil potenzielle Hinweisgeber*innen dazu anregen, für Hinweise den internen Meldekanal gegenüber einer externen Stelle (einem externen Meldekanal, die zweite Ausbaustufe gem. Richtlinie) zu bevorzugen. Ein wichtiger Punkt ist weiters auch die Konformität von Hinweisgebersystemen mit den technischen und organisatorischen Maßnahmen gemäß Art. 25 DSGVO.

Organisatorische Umsetzung interner Meldekanäle ungeregelt.
Die Richtlinie fordert nicht explizit eine technische Umsetzung von Hinweisgebersystemen für interne Meldekanäle, doch sind die Anforderungen an den Schutz von Hinweisgebern und sonstigen Personen, die bei der Hinweisgebung unterstützen, so hoch gegriffen, dass diese für eine von der Richtlinie betroffene Organisation durch ein IT-gestütztes und im Idealfall auch technisch von der internen IT-Infrastruktur abgekoppeltes Hinweisgebersystem wohl am einfachsten umgesetzt werden kann.

Hinzu kommen/kommt die/das
•    Notwendigkeit zur Rückfrage bzw. eines Ergänzungsersuchens an Hinweisgeber*innen,

•    Berechtigung von Hin-weisgeber*innen, abgegebene Hinweise nach Entgegennahme durch die interne Stelle bei dieser zu ergänzen oder zu berichtigen,

•    Recht von Hinweisge-ber*innen, dass die Entgegennahme von Hinweisen, Ergänzungen und Berichtigungen binnen einer Frist (sieben Kalendertage) schriftlich bestätigt wird,

•    Bekanntgabe der Erledigung eines Hinweises (Folgemaßnahmen, Gründe für eine Einstellung etc.) binnen einer Frist (drei Monate).

Ohne entsprechende technische Systeme im Hintergrund wären die angeführten Kommunikationsstrukturen zwischen betroffener Organisation und Hinweisgebern nur bei gleichzeitiger Bekanntgabe von Kontaktdaten der hinweisgebenden Person oder einer diese unterstützende Person möglich, eine anonyme Hinweisabgabe de facto nicht machbar.
Eine von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young im Februar 2021 durchgeführte Studie zum Whistleblowing-Potenzial in Österreich zeigte aber ganz eindeutig, wie wichtig potenziellen Hinweisgeber eine anonyme Abgabemöglichkeit von Hinweisen ist.

68,6 % der befragten Personen erachten es der Umfrage zufolge als vorstellbar, wahrgenommene illegale Handlungen am Arbeitsplatz zu melden. 72 % davon würde eine (anonyme) Meldung an eine unternehmensinterne Stelle gegenüber einer externen Stelle bevorzugen, jedoch gaben auch 87 % der Befragten an, dass sie eine anonyme Abgabemöglichkeit ermutigen würde, eine wahrgenommene Rechtsverletzung zu melden!

Somit bleibt es bis zum letzten Moment spannend, wie es mit der nationalen Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie in Österreich weitergeht.
Wird zumindest das entsprechende Bundesgesetz zeitgerecht vorliegen? Wie und vor allem wie abgestimmt erfolgt die landesgesetzliche Implementierung? Wird die Richtlinie für einen Übergangszeitraum gar direkt und ohne Ausnahmen anzuwenden sein? Wie werden die „internen Meldekanäle“ in der Praxis von den betroffenen Organisationen umgesetzt werden und – last, but not least – wird sich die Studie von Ernst & Young, die ein hohes Potenzial an Meldebereitschaft identifiziert, bewahrheiten und nicht nur zu einer Fülle an Hinweisen führen, sondern auch die Transparenz weiter verbessern und – in letzter Konsequenz – Österreich im internationalen Korruptionswahrnehmungsindex, bei dem es 2020 um drei Ränge auf den 15. Platz abgerutscht ist, wieder auf die vorderen Plätze katapultieren?

 

Gastbeitrag von
Dr. Ronald Sallmann

Beauftragter für Digitalisierung, E-Government und IKT des Österreichischen Städtebundes